ADHS – was nun? Tipps für den Alltag
ADHS-Organisation elpos Schweiz
(DSM = Diagnostisches und Statistisches Handbuch psychischer Störungen der US-Psychiatrischen Vereinigung)
Zur Erteilung der Diagnose müssen die Symptome bereits im Kindesalter (bis 12 Jahre) auftreten, mindestens 6 Monate vorliegen und in zwei oder mehreren Lebensbereichen (Familie, Schule etc.) zu beobachten sein. Ausserdem dürfen sie nicht durch eine andere psychische Störung besser erklärt werden können.
Eine Übersicht der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich
Wann und durch wen wird eine Abklärung durchgeführt?
Obwohl ADHS häufig vorkommt, ist die Diagnosestellung anspruchsvoll. Eine Abklärung sollte durchgeführt werden, wenn ADHS-typische Verhaltensauffälligkeiten – Hyperaktivität, Impulsivität, und/oder Unaufmerksamkeit – im Alltag mit funktionalen Einschränkungen einhergehen. Normalerweise sollte die ADHS-Diagnose durch eine speziell dafür ausgebildete Fachperson erfolgen. Das sind in erster Linie Kinder- und Jugendpsychiater*innen und -Psycholog*innen, sowie Kinderärzt*innen.
Wer definiert, was „ADHS“ ist?
Psychische Störungsbilder werden von internationalen Fachorganisationen wie der „World Health Organisation“ (WHO) definiert. In der Schweiz wird die Internationale Klassifikation der Störungen (engl. International Classification of Disease (ICD)) verwendet. Durch anerkannte Kriterien wird sichergestellt, dass tatsächlich alle dasselbe meinen, wenn sie von ADHS sprechen. Alle 10 bis 20 Jahre werden die Störungsdefinitionen aktualisiert. Zur Zeit befinden wir uns im Übergang der Gültigkeit der Version ICD-10 zu ICD-11. Nach ICD-11 verändert sich die Definition der ADHS etwas; z. B. ist ADHS ohne Hyperaktivität (früher „ADS“) jetzt eine Unterform von ADHS („ADHS, vorwiegend unaufmerksam“).
Wer legt fest, wie man ADHS diagnostiziert?
Die meisten Fachpersonen orientieren sich an „Leitlinien“, die von medizinischen Fachgesellschaften erstellt werden (z.B. AWMS Leitlinie S3 zur Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung (ADHS) im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter). Darin werden Empfehlungen gegeben für das Vorgehen bei Diagnostik und Therapie.
Aufbau der diagnostischen Untersuchung: Befragung von Eltern/Bezugspersonen und Kind
Wichtigster Teil der Untersuchung ist das gemeinsame Gespräch mit den Eltern und dem Kind. Je nach Alter des Kindes kann manchmal ein Teil des Gesprächs nur mit den Eltern oder nur mit dem Jugendlichen erfolgen. Gefragt wird nach den aktuellen Verhaltensproblemen und den typischen Situationen, in denen das Problemverhalten auftritt, sowie nach dem Leidensdruck aller Beteiligten. Es werden lebensgeschichtliche Ereignisse und Entwicklungsschritte des Kindes erfragt. Dazu gehört auch die Situation des Kindes in der Familie oder im Kindergarten bzw. in der Schule. Ziel ist es, ein umfassendes Bild des Kindes in seiner Lebensumwelt zu erhalten, einschliesslich Schwächen und Stärken und bisherigen Unterstützungsangeboten.
Ausschluss von anderen Ursachen (Differentialdiagnose)
Es sollte untersucht werden, ob die ADHS-Symptome vielleicht durch eine andere Störung ausgelöst werden, die dann anders behandelt werden müsste als eine ADHS. Es können dazu z.B. eine körperliche Untersuchung des Kindes erforderlich sein (bspw. Hör- und Sehtests), Laboruntersuchungen, neurologische Untersuchungen mit bildgebenden Verfahren wie MRT (Magnet-Resonanz-Tomographie) oder eine Hirnstrommessung mit klinischem EEG (Elektroenzephalogramm) zum Ausschluss einer Epilepsie. Zur eigentlichen ADHS-Diagnose kann aber keines dieser Verfahren sinnvoll eingesetzt werden; diese Abklärungen dienen lediglich zum Ausschluss anderer Störungen.
Abklären von Begleitstörungen
Fachpersonen klären ausserdem ab, – im Gespräch, mit Fragebogen und/oder Tests -, ob zusätzlich zur ADHS noch andere Probleme vorliegen, was häufig vorkommt (etwa 60% der Fälle). Oft gehen Fachpersonen dazu systematisch eine Liste von psychischen Problemen durch, damit sie Störungen erfassen können, die nicht spontan genannt werden. Es kommen z.B. Angststörungen oder Depressionen bei ADHS häufiger vor als bei Kindern ohne ADHS. Das gilt auch für Lernstörungen, wie z.B. Dyslexie.
Fragebogenverfahren
Viele Fachpersonen setzen ADHS-Fragebogenverfahren ein, die von den Eltern, Lehrpersonen und, je nach Alter, von dem betroffenen Kind selbst ausgefüllt werden. Dabei wird systematisch nach den für ADHS relevanten Problemen gefragt (z.B. „ist zappelig“), wobei auch der Schweregrad der Probleme angegeben wird (z.B. von 1 („trifft gar nicht zu“) bis 4 „(trifft völlig zu“)). Es ist sehr wichtig, vergleichbare Angaben von unterschiedlichen Personen zu erhalten, da sich das Kind je nach Situation (zuhause, in der Schulklasse) anders verhalten kann.
Testpsychologische Untersuchungen
Testpsychologische Untersuchungen werden eingesetzt, um Leistungsprobleme und -Stärken zu erfassen. Dabei sind die Eltern normalerweise nicht anwesend, damit sich die Kinder nicht durch deren Anwesenheit beeinflussen lassen. Meist wird zunächst ein Test zum allgemeinen Leistungsniveau (Intelligenztest) durchgeführt, der sich aus mehreren Untertests zu unterschiedlichen Fähigkeiten zusammensetzt. Weitere Testverfahren, auch am Computer, z.B. zur Aufmerksamkeit oder Selbstkontrolle, werden nach Bedarf verwendet.
Fremdbefragung
Um zu überprüfen, wie sich ADHS-Symptome in der Schule (dem Kindergarten) zeigen, gehört eine Befragung der wichtigsten Lehrperson(en) in der Regel zur Diagnostik dazu, natürlich mit Einverständnis der Eltern. Manchmal ist auch ein Unterrichtsbesuch erforderlich, um ein besseres Bild zu erhalten.
Eine sorgfältige Abklärung ist die Voraussetzung für die Behandlung, da jeder Fall von ADHS individuell betrachtet und behandelt werden sollte.
Autoren: Dr. Anna Werling, Dr. Belén Rubio, Prof. Dr. Renate Drechsler
Wir wissen, wie wichtig die richtige Unterstützung/Therapie und wie schwierig der Weg dahin oft ist. Da sind einerseits all die «guten Ratschläge» und andererseits verunsichernde und verwirrende Medien-Meldungen, die zusammen mit dem häufig hohen Leidens- und Handlungsdruck zusätzlich belastend wirken. Aufgrund sachlicher und unabhängiger Informationen kann letztlich entschieden werden, was für Kind, Familie und andere Bezugspersonen individuell hilfreich ist.
Jedes Kind ist einzigartig
Gerade deshalb ist eine Abklärung zwingend. Viele dieser Kinder verfügen über ein grosses Potential, das sie aufgrund der Probleme jedoch nicht genügend umsetzen können. So sind sie oft sehr empfindsam und haben viele «starke Seiten». Im Sinne einer resilienten Erziehung sollen diese positiven Eigenschaften gefördert und in der Therapie als Ressourcen miteinbezogen werden. Nicht zuletzt geht es auch um die Bereitschaft, diese Kinder und Jugendlichen in ihrer ganzen Persönlichkeit wahr zu nehmen und zu respektieren. Mit all ihren Facetten. Jeder von uns hat Schwächen und Schattenseiten. Kurz: Die Auswirkungen von ADHS müssen wir ernst nehmen, das Kind jedoch nie auf diese Problematik reduzieren!
Erläuterungen zu diagnostischen Kriterien und ADHS-Ausprägungen
Als Ursache gelten genetische Faktoren und ein Ungleichgewicht der Botenstoffe (Neurotransmitter). Umwelteinflüsse können dabei verstärkend wirken und es kommt zu einem Wechselspiel. Die Kernsymptome (Merkmale) dieser Entwicklungsstörung sind: Unaufmerksamkeit, Impulsivität und eventuell Hyper- oder Hypoaktivität. In der Schweiz gibt es schätzungsweise rund 200’000 Menschen mit ADHS. Rund 5 Prozent der Kinder sind davon betroffen.
Eine gründliche, differenzierte und ganzheitliche Abklärung durch eine qualifizierte Fachperson ist die Grund-Voraussetzung für eine erfolgreiche und individuelle Therapie. Denn rund 5% der Kinder sind in einem Ausmass betroffen, dass ihre persönliche und schulische Entwicklung erheblich darunter leidet. Und heute weiss man, dass bei 50 % die Symptomatik auch im Erwachsenenalter weiter besteht.
Früherfassung und Behandlung sind bei ADHS enorm wichtig. Erlebt sich das Kind stets negativ, ist der Aufbau eines gesunden Selbstwert- und Identitätsgefühls kaum möglich, was das weitere Leben stark beeinträchtigt. Wird eine ADHS-Symptomatik nicht rechtzeitig entdeckt oder behandelt, erhöht sich das Risiko einer Komorbidität (Begleiterkrankung) oder Folgestörung. Leiden wie Tics, Angst- oder Zwangsstörungen, Depressionen oder Suizidgedanken können bereits im Kindesalter auftreten, während bei Jugendlichen Essstörungen und Suchtgefährdung («Selbstmedikation») hinzukommen.
Nach der Diagnose von ADHS stellt sich die Frage, wie man damit umgehen soll. Der Leporello und die Broschüre sind hier, um zu informieren und zu unterstützen. Die enthaltenen Tipps sollen bei den nächsten Schritten und im Alltag helfen.
Als gemeinnützige Organisation setzen wir uns für die Verbesserung der Rahmenbedingungen von Menschen mit ADHS und ihren Angehörigen ein. Durch Spenden und Mitgliederbeiträge können wir ein bedarfsgerechtes Angebot schaffen und so die Lebensqualität dieser Menschen verbessern. Eine Mitgliedschaft lohnt sich, denn Sie profitieren von diversen Vorteilen.
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