ADHS weist eine starke familiäre Häufung auf. Verwandte ersten Grades eines ADHS-Betroffenen zeigen sechsmal häufiger ebenfalls ADHS-Merkmale im Vergleich zu der Allgemeinbevölkerung. Aus der Zusammenschau zahlreicher Zwillings- und Adoptions-Studien kann die Vererbbarkeit auf etwa 70% geschätzt werden. Die genauen Genorte sind noch nicht identifiziert, es sind aber sicherlich mehrere Gene beteiligt. Dies erklärt auch die grossen Unterschiede in den ADHS-Ausprägungen, sowohl in der Stärke als auch nach der Art, selbst innerhalb der gleichen Familie. Als andere Risikofaktoren für die Entwicklung einer ADHS werden die Einnahme schädlicher Substanzen (besonders Nikotin und Alkohol), Infektionskrankheiten während der Schwangerschaft sowie Frühgeburt und Geburtsschädigungen gewertet.
Im Zusammenspiel der genetischen Vorgaben und schädigender äusserer Einflüsse entstehen Funktionsstörungen im Gehirn, die sich besonders in den Teilen auswirken, die für die Problemlösung, Planung und Impulskontrolle verantwortlich sind.Wahrscheinlich liegen relative Unterfunktionen im Stoffwechsel oder in der Wirkung der hierbei besonders beteiligten Botenstoffe Dopamin und Noradrenalin vor. Diese Unausgeglichenheit im Umsatz und in der Wirksamkeit dieser Botenstoffe führt sowohl zu Unterfunktionen bei der Daueraufmerksamkeit als auch zur mangelhaften Unterdrückung von Impulsen. Das Lebensumfeld, in dem die Kinder aufwachsen, kann diese Anlagen verstärken oder mildern, kann jedoch weder alleine die ADHS verursachen noch verhindern. Deshalb ist der Selbstvorwurf mancher Eltern von ADHS-Kindern, in der Erziehung versagt zu haben, unbegründet. Auch der Ernährung kommt keine wissenschaftlich bewiesene Bedeutung zu. Viele Menschen mit ADHS erleben sich selbst als Rätsel, weil sie trotz aller guten Vorsätze und leidsamen Erfahrungen die gleichen Verhaltensfehler immer wieder begehen. Die Lösung liegt in den beschriebenen neurobiologischen Funktionsstörungen, die die Umsetzung der Vorhaben im entscheidenden Moment bis zur Unmöglichkeit erschweren. ADHS-Symptome sind keine Probleme des „Wollens“ sondern des „Könnens“.
Überaktivität und Impulsivität, die in der Kindheit dominieren, weichen oft einer allgemeinen Leistungs- und Konzentrationsschwäche vor allem in monotonen und langweiligen Situationen. Fast alle erwachsenen ADHS-Patienten fühlen sich innerlich ruhelos und getrieben. Im Berufs- und im Privatleben erreichen sie oft nicht die Ziele, die sie sich ursprünglich gesteckt hatten. Viele leiden vor allem unter den sozialen Folgen von ADHS und sind unzufrieden mit ihrer Lebensbilanz. Von ADHS betroffene Erwachsene haben oft erhebliche Schwierigkeiten in der Alltagsbewältigung. Starke Empfindlichkeit für Sinneseindrücke, aber auch für Spannungen in zwischenmenschlichen Beziehungen können belasten. Sie können eine geringe Stress- und Frustrationstoleranz zeigen und Temperamentsausbrüche haben. Manche versuchen, die Leistungsfähigkeit mit hohen Mengen von Schokolade, Kaffee, Cola, Energydrinks und Nikotin zu steigern oder bekämpfen die innere Anspannung mit Alkohol, Cannabis oder Kokain. Hohe Impulsivität führt leicht zu riskantem und sozial störendem Verhalten. Frauen mit ADHS sind seltener hyperaktiv als Männer, neigen jedoch zu Tagträumereien und sind schnell ablenkbar. Ab dem Zeitpunkt der Pubertät treten häufig ausgeprägte Beschwerden vor der Menstruation mit starken Stimmungsschwankungen auf (praemenstruelles Syndrom).
Etwa 50% der Menschen, die von ADHS betroffen sind, zeigen bereits im Kindes- und Jugendalter zusätzliche Störungen, die nicht direkt von den ADHS-Kernproblemen herrühren. Besonders häufig sind Verhaltensprobleme mit oppositionellem oder aggressivem Verhalten, Teilleistungsstörungen wie Lese-und Rechtschreib-Störungen oder Rechenstörungen (Legasthenie und Dyskalkulie) und Tics. Auch Schlafstörungen, Depressionen, Angststörungen, Zwangsstörungen sowie Essstörungen finden sich bereits im jugendlichen Alter bei ADHS-Betroffenen häufiger als in der Allgemeinbevölkerung. Bei Querschnittsuntersuchungen von Erwachsenen waren nur 14-23% der ADHS-Betroffenen ohne zusätzliche psychiatrische Diagnosen. In Längsschnittuntersuchungen entwickelten Heranwachsende mit ADHS im weiteren Beobachtungszeitraum von 5-10 Jahren 4- 5mal häufiger zusätzliche psychische Erkrankungen als Kontrollpersonen. Bei einigen dieser Erkrankungen wie Zwangsstörung, Angststörungen, Depressionen und bipolaren affektiven Störungen kommen überlappende genetischneurobiologische Grundlagen als Erklärung der Häufung in Frage. Bei anderen psychiatrischen Störungsbildern wie Suchterkrankungen, Essstörungen und Persönlichkeitsstörungen (z.B. Borderline-Störung) spielen psychologische Faktoren wie ungeeignete Anpassungs- und Bewältigungsversuche sowie Selbstwertprobleme wesentliche Rollen für die Entwicklung der zusätzlichen Erkrankungen. Relevant sind jedoch auch Verhaltensauffälligkeiten, die nicht als Erkrankungen klassifiziert sind, wie die Neigung zu riskantem Verhalten z.B. im Strassenverkehr und in der Sexualität, konflikthafte Partnerbeziehungen und das Scheitern in der Ausbildung und im Beruf. Bei der individuellen Untersuchung und diagnostischen Beurteilung eines Erwachsenen sollte nach der Diagnose von ADHS deshalb auch kritisch geprüft werden, ob zusätzlich psychiatrische Erkrankungen vorliegen und eine zusätzliche Therapie erfordern. Nicht selten werden jedoch auch Kernsymptome der ADHS als andere psychische Erkrankung fehlgedeutet und können durch die Behandlung der ADHS zielgerichtet überwunden werden. Deshalb sollte die Diagnose ADHS von einem erfahren Psychiater überprüft werden.